Orgelunterricht im Emsland: Kantor Dominik Giesen zeigte Elissa Kaethler die Orgel in der Bonifatius-Kirche

Aus Paraguay nach Lingen: Wie Auszubildende Elissa Kaethler ihre Zukunft gestaltet

Ein Text von Thomas Pertz (Neue Osnabrücker Zeitung)

Lingen. Sie kommt aus Paraguay in Südamerika und lernt in Lingen den Beruf der Raumausstatterin. Was hat die 19-jährige Elissa Kaethler dazu bewogen? Wir haben sie bei einem Kundenbesuch begleitet.

Der "Kunde" ist Pastor Thomas Burke. In der Küche des Pfarrhauses in der Burgstraße in Lingen sind neue Gardinen und Vorhänge fällig. Der Pastor hat so recht noch keinen "Plan", was künftig an den Fenstern hängen soll. Elissa Kaethler und ihr Chef Dirk Hilge können helfen. Der 54-Jährige ist Raumausstattermeister. Er führt den Familienbetrieb an der Rheiner Straße in zweiter Generation.

Verschiedene Stoffmuster haben die beiden mitgebracht. "Etwas Lebendiges darf es ruhig sein", meint der Geistliche. Lebendig im Sinne von farbenfrohen Stoffen? Hilge und die 19-jährige Auszubildende stellen ihm eine Auswahl vor und breiten diese auf dem Küchentisch aus. 

Maß nehmen in der Küche

Beide haben dabei auch Gabi Reiling im Blick. Auf die Meinung der Wirtschafterin im Pfarrhaus, die in der Tür zur Küche steht, kommt es natürlich ebenfalls an. Schließlich zückt Elissa Kaethler den Zollstock und misst schon mal, wieviele Stoffbahnen in etwa notwendig sind.

Ein paar Meter sind es schon - nichts im Vergleich zu der Strecke, die die junge Frau zurückgelegt hat. Paraguay ist ein Land mit rund sieben Millionen Einwohnern zwischen Argentinien, Brasilien und Bolivien.  Elissa Kaethler nimmt am Projekt „Perspektive Emsland“ des Wirtschaftsverbandes Emsland teil. 

Ziel ist es, jungen Leuten in dem südamerikanischen Land eine Ausbildung im Emsland zu ermöglichen, wo Lehrstellen immer häufiger unbesetzt bleiben. Das Projekt wird durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) der Europäischen Union und durch das Land Niedersachsen anteilig gefördert.

Wieso Paraguay?

Und wieso ausgerechnet Paraguay? Das hat viel mit Edelgard Klassen und ihrem Mann Peter Douglas zu tun. Er ist Neurochirurg im Lingener Bonifatius-Hospital, wo sie für Koordination und Case Management zuständig ist. Das Ehepaar Klassen kommt aus der deutschen Kolonie Fernheim in Paraguay. Dort gibt es viele solcher Kolonien, in denen die Bewohner die deutsche Sprache sprechen und in den Schulen gut ausgebildet werden. In ihrem Land haben sie jedoch kaum eine Perspektive.

Ein Vortrag  von Klassen beim Wirtschaftsverband Emsland über seine guten Erfahrungen mit Ärzten und Pflegern aus dem südamerikanischen Land war die Initialzündung für das Projekt "Perspektive Emsland". Eine Delegation des Wirtschaftsverbandes reiste nach Paraguay, stellte sich in Schulen vor und warb für das Projekt. 

Eine Perspektive geben

Die deutschen Kolonien dort sind ähnlich ländlich geprägt wie das Emsland, doch anders als hier haben die Jugendlichen dort kaum Ausbildungsmöglichkeiten. "Wir wollen die jungen Leute nicht abwerben", unterstreicht Mechtild Weßling, Geschäftsführerin beim Wirtschaftsverband. Vorrangiges Ziel sei die Entwicklung einer beruflichen Perspektive für junge Menschen.

Für solche wie die 19-jährige Elissa aus der Kolonie Menno. "Nach der Schule wollte ich eigentlich nicht sofort studieren, sondern erst mal was Praktisches machen", erzählt die junge Frau. In ihrer Schule hörte sie von dem Projekt des Wirtschaftsverbandes. Ein Auslandsjahr in Deutschland hatte sie schon mal gemacht. "Und so lange ich jung bin, möchte ich nicht nur auf einer Stelle sein", beschreibt sie ihren Wunsch, den persönlichen Radius deutlich zu erweitern.

Ihre Mutter sei erst etwas skeptisch gewesen, der Vater habe ihren Schritt toll gefunden, schmunzelt Elissa. Die Eltern waren dann aber beide beruhigt, als die erfuhren, wie gut das Projekt organisiert ist. Ob es der Ausbildungsbetrieb bei Hilge ist, die Wohnung in Lingen, die sie sich mit einer weiteren Auszubildenden aus Paraguay teilt: Elissa ist nicht nur in Lingen angekommen, sie fühlt sich auch wohl hier.

Insgesamt 14 junge Leute aus Paraguay machen derzeit bei verschiedenen Unternehmen und Einrichtungen im Emsland eine Ausbildung. Die Berufe sind breit gefächert. Sie liegen im gewerblich-technischen Bereich, auch in der Pflege. "Der Wirtschaftsverband ist nahe an den Betrieben dran", beschreibt Weßling das eng geknüpfte Netzwerk in der Region und zwischen dem Emsland und den Kolonien in Paraguay.

Am 1. August 2020 hat Elissa ihre Ausbildung zur Raumausstatterin bei Hilge begonnen. "Es gefällt mir sehr gut", berichtet die junge Frau von ihrer Arbeit im Nähatelier, in der Polsterei und beim Kundenbesuch wie den an diesem Vormittag im Pfarrhaus von Thomas Burke. 

Was kommt nach der Ausbildung?

2023 endet Elissas Ausbildung - und was kommt dann? "Ich bin da offen", sagt sie. Sie kann sich durchaus vorstellen, noch länger hier zu bleiben. "Das sollen die jungen Leute selbst entscheiden", unterstreicht Mechtild Weßling. Dirk Hilge ist sehr zufrieden mit der Auszubildenden. "Wir sind positiv überrascht", sagt der Raumausstattermeister. Er habe Respekt vor einem solchen Schritt, so weit weg von der Heimat eine berufliche Ausbildung zu beginnen.

Die 19-Jährige ist im Übrigen vielseitig interessiert. In Paraguay hatte sie Klavierunterricht genommen. Nach dem Kundenbesuch im Pfarrhaus bei Pastor Burke war die Gelegenheit günstig, in der gegenüberliegenden Pfarrkirche St. Bonifatius vorbeizuschauen und die mächtige Orgel zu besichtigen. Lingens Regionalkantor Dominik Giesen freute sich über das Interesse von Elissa - die wohl auch künftig von sich hören lässt.

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